Bild
Titel:
Pestbild in der Pfarrkirche Appenzell
Thema: Leute
Ort: Appenzell (Karte anzeigen)
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Datum: --.--.1625
Masse: 226 x 352 cm
Standort: Chor der Pfarrkirche Appenzell
Urheber/-in: Girtanner, Moritz
Beschreibung:
Pestbild in der Pfarrkirche Appenzell, gemalt 1625 von Moritz Girtanner (1575-1629). Das direkt auf die Chormauer aufgebrachte Fresko zeigt in der Mitte Gottvater in gelbem Gewand, der mittels eines Bogens Pestpfeile auf die Erde schiesst. Jesus Christus zur Linken und die Jungfrau Maria zur Rechten versuchen vergeblich, für die sündige Menschheit Gnade zu erflehen. Opfer des göttlichen Zornes ist die darunter dargestellte Ortschaft Appenzell, leicht erkennbar an ihren typischen Bauten. Als Beschützer der Bevölkerung treten im Vordergrund zwei Heilige auf, links der Heilige Josef mit Lilie und auf den Boden gelegtem Zimmermannswerkzeug, rechts der Heilige Mauritius im Harnisch.
Geschichte:
Beim Appenzeller Pestbild handelt es sich um eine schweizweit wohl einzigartige Darstellung eines göttlichen Strafgerichts in Form der Pestsendung. Die Pest als solche wurde eher selten auf Gemälden gezeigt. Wesentlich häufiger sind dagegen Pestsäulen, Pestaltäre oder Pestkruzifixe. Sie alle dienten der Erflehung der göttlichen Gnade, von dieser unheilbaren und für den Menschen unverständlichen Krankheit verschont zu bleiben. Die Pest, eine von infizierten Rattenpopulationen ausgehende bakterielle Infektionskrankheit, galt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit als eigentliche Geissel der Menschheit. Sie war in der Lage, innert Monaten grosse Teile der Bevölkerung betroffener Gebiete dahinzuraffen. Jegliche menschliche Aktivitität - Handel, Kunst, Feste, Märkte - kam in Zeiten von Pestzügen zum Erliegen. Die verängstigten Leute, welche der Krankheit vollkommen hilflos gegenüberstanden, wurden von einer Endzeitstimmung ergriffen und flüchteten sich in religiösen Wahn. Der Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung führte zu Gewalt und Chaos im öffentlichen Leben. Teuerung und Hungersnöte waren die Folge und verschlimmerten die Lage zusätzlich.
Die Chroniken berichten von einer ganzen Reihe von Pestzügen, welche das Appenzellerland trafen. Zum ersten Mal trat die Krankheit 1348 auf und forderte im Gebiet der Pfarrei Appenzell 200 Tote. Weitere Pestzüge folgten 1438 mit 300 Toten, 1519 mit 150 Toten, 1564 mit 500 Toten und 1594 mit einer unbekannten Zahl von Opfern. Am schlimmsten wütete der schwarze Tod jedoch 1611 mit über 1000 und 1629 mit 1065 Verstorbenen. Zum letzten Mal trat die Epidemie 1635 auf. Zum Vergleich: In einem normalen, katastrophenfreien Jahr verstarben im Gebiet der Pfarrei Appenzell zu Beginn des 17. Jahrhundert 50 bis 100 erwachsene Personen. Auch in den äusseren Rhoden wütete die Krankheit unerbittlich. In der Rhode Trogen, welche damals auch das Vorderland umfasste, starben 1611 1164 Personen und 1629 nochmals 1004. 703 Menschen erlagen 1611 in der Rhode Urnäsch der fürchterlichen Seuche, 1629 zählte man 529 Opfer. In dieser Zeit liess die Pfarrei Appenzell von Kunstmaler Moritz Girtanner ein Pestbild malen und zwar nicht irgendwo, sondern gleich neben dem Hochaltar, was die hohe Bedeutung des Gemäldes unterstreicht. Auch der Künstler selbst war gegen die Krankheit nicht immun. Nachdem er 1625 das Pestbild geschaffen hatte, verstarb er während des Seuchenzugs von 1629 - aller Wahrscheinlichkeit nach an der Pest.
Autor: Stephan Heuscher, Appenzell
Literatur:
Bucher, Silvio: Die Pest in der Ostschweiz. In: St. Gallische Neujahrsblätter 119 (1979)
Fischer, Rainald: Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Innerrhoden. Basel 1984 (Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 74), S. 191f.
Huber, Johannes: Pfarrkirche St. Mauritius Appenzell. Appenzell 2010, S. 39
Schürmann, Markus: Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft in Appenzell Innerrhoden im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Appenzell 1974, S. 124-126
Tags:
Appenzell, Gemälde, Innerrhoden, Fesko, Moritz Girtanner, Krankheit, Pest, Seuchen
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